22.11.2022
Der Lebenslauf – Ehrlich währt am längsten
Grundsätzlich soll der Lebenslauf vollständig und frei von Lügen sein. Die Versuchung, etwas zu beschönigen oder wegzulassen, was der Karriere schaden könnte, ist groß. Besser ist es, sich Gedanken zu machen, welche Vorteile diese Abweichungen vom „Musterlebenslauf“ sich hieraus für den Berufsalltag ergeben. Brigitta Stegherr berät in ihren Coachings und Seminaren zu den Themen Karriere und Bewerbung. Neben Tipps für gute Bewerberfragen bietet sie hier Möglichkeiten an, wie sich die gefürchtete "Lücke im Lebenslauf" positiv präsentieren lässt:
Gesundheit: Ein Burnout kommt meistens allein
Bewerber:innen, die einen Burnout erlitten, eine depressive Phase überstanden oder eine schwere Verletzung nach Reha überwunden haben, verfügen meist über Stärken, die sie ohne diese Einschnitte nicht hätten. Resilienz, Disziplin, Durchhaltevermögen, mentale Stärke, Frustrationstoleranz – das alles bringt einen beruflich voran. Und wer einmal im Burnout war, erkennt vielleicht mögliche Signale bei derzeitigen Top-Performer:innen und kann helfen, diese vor dem Burnout und das Unternehmen vor einem Ausfall derjenigen zu bewahren.
Bei Erkrankungen, die zu einem Grad der Behinderung geführt haben, kann erwähnt werden, dass es möglicherweise Wiedereingliederungszuschüsse zum Gehalt gibt und Unternehmen auf diese Weise aktiv etwas zur Integration von Menschen mit besonderen Bedarfen tun können. Die einzige Behinderung ist sowieso die, das Leben nur aus einem einzigen Blickwinkel sehen zu können.
Der Lebenslauf darf Abwechslung bieten
Jeder Wechsel hat seinen Grund. Ob es eine Kündigung seitens des Unternehmens oder der Bewerber:innen ist, ob es gesundheitliche Gründe gab oder Schicksalsschläge. Alles kommt vor und kann erklärt werden. Am besten von den Bewerber:innen selbst. Jede fehlende Erläuterung führt zu Kopfkino bei Personaler:innen. Und diesen Film kann man nicht mehr beeinflussen.
Als Mindset empfiehlt es sich für Bewerber:innen im Falle von eigenen Kündigungen oder abgebrochenen Ausbildungen die Haltung einzunehmen: Schafft es das Unternehmen, mich zu halten? Nicht immer ist es eigenes Unvermögen oder fehlende Anpassungsfähigkeit. Oft war es die Erkenntnis, dass der Job oder die Ausbildung nicht das Richtige sind, und dann ist es besser für alle, die Zeit sinnvoll zu nutzen und die Energie in eine neue Richtung zu lenken.
Familienmanagement statt Elternzeit
Die Erziehungszeit ist eine Phase, in der die neuen Eltern mit einer Fülle von Aufgaben und Verantwortungen konfrontiert sind - anders als Nicht-Eltern. Plötzlich sind mehrere Kalender zu koordinieren, neue Aufgaben kommen hinzu – sei es Krankenpflege, Konfliktlösung, Fahrdienst, Hausaufgabenbetreuung, Motivationstraining oder Hauswirtschaft. Das sind Management-ähnliche Tätigkeiten und das darf man auch so formulieren.
Haftstrafe im Lebenslauf
Straftaten mit Gefängnisstrafen sind sicherlich kein Ruhmesblatt. Unser Strafrecht ist jedoch auf Resozialisierung ausgerichtet. Welche Fähigkeiten und Eigenschaften haben die Beweber:innen während der Haftzeit erworben oder verstärkt? Frustrationstoleranz, Ausbildungen, Hausarbeiten, Therapien, Selbststudium, Lesen – die Vielfalt ist groß. Der Lebenslauf darf verdeutlichen, warum die Bewerber:innen nun bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen jetzt anders treffen. Ehemals Inhaftierte sind oft sehr engagiert in Unternehmen, wenn man ihnen eine Chance gibt.
Der Lebenslauf sollte ehrlich sein
Wer mit allen bisherigen Lebensabschnitten offen umgehen kann, setzt sich selbst weniger unter Druck. Denn viele dieser Phasen lassen sich auch positiv bewerten. Außerdem können die Bewerbenden mit Ehrlichkeit schon früh herausfiltern, welches Unternehmen zu ihnen passt: Wird Wertschätzung gelebt? Ist man offen für die Geschichte hinter den reinen Zahlen, Daten und Fakten? Sieht man einen Bruch als Chance oder als Hindernis?
Ein guter Rat an Unternehmen: Mut zur Neugier haben. Die Geschichten hinter den Lebensläufen sind oft viel spannender als das beste Kopfkino.
Teilen per: